Harald K., 61, ist verheiratet mit Sabine 56, sie wohnen in Marne und haben zusammen drei Töchter. Harald ist gebürtiger NRWler. Er wollte gern Koch lernen, wurde aber wegen des damals geltenden Jugendschutzgesetzes abgelehnt (späte Arbeitszeiten). Also lernte er Konditor und startete nach absolvierter Bundeswehrzeit seine Berufslauflaubahn. Noch immer wollte er gern den Beruf des Kochs erlernen, denn er dachte auf diesem Weg könne er auf einem Schiff anheuern und so die große weite Welt entdecken. Das Schicksal hatte einen anderen
Plan für ihn und ein gut bezahlter Saisonjob im Konditorhandwerk führte ihn auf die Insel Föhr. Dort begeisterte ihn seine Tätigkeit in einem Cafe und er erweiterte seine Ausbildung und wurde Konditormeister. In der kurzen Freizeit, die ihm im Sommer blieb lernte Harald die gelernte Hotelfachfrau Sabine kennen. Zunächst sahen sie sich selten, eigentlich nur sonntags, wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten.
Erst im Winter, als die Saison auf der Insel beendet war, kam man sich näher. Sie blieben zusammen und schmiedeten Pläne für die gemeinsame Zukunft mit Familie. So geschah es, dass seine Kinder alle im Januar Geburtstag feiern, denn im Sommer haben Insulaner, keine Zeit zum Kinderbekommen, führt Harald lachend aus. Gleichzeitig wuchs der Traum der Selbständigkeit immer stärker in Harald heran, was Sabine unterstützte. Auf Föhr war ein solches Unterfangen zu teuer und als er ein Angebot für eine Cafe-Übernahme in Marne entdeckte, nahmen sie das Angebot an, verließen die Insel und legten 1999 los.
Im Zuge des allgemeinen Problems des Innenstadt-Sterbens schlossen sie 2016 das Cafe, aber nicht um beruflich aufzugeben, sondern um sich neu aufzustellen. Bereits 2009 nahmen sie die Einladung zur Grünen Woche auf dem Schleswig-Holstein-Stand ihr Konditoren-Handwerk zu präsentieren an. „Wir hatten überhaupt keine Vorstellung wie das funktionieren könnte, aber es gelang in einer sogenannten "Hummerbude" mit nur 2x2 m Platz. Auf der einen Seite der Bude präsentierte ich die Torten-Backkunst und auf der anderen Budenseite wurde der Verkauf von Sabine organisiert. Der damalige Ministerpräsident Schleswig- Holsteins Harry Peter Carstensen schnitt die von mir mit ihm gemeinsam gebackenen Torte im Schleswig-Holstein Umriss quer durch, woraufhin die Presse am Tag titelte Ministerpräsident Carstensen teilt das Land; erzählt Harald noch immer belustigt darüber.
Die Grüne Woche gefiel ihnen, so dass sie mehrmals teilnahmen und hier die Idee zur Beschickung von Wochenmärkten entstand, ihr neuer Geschäftszweig. Harald kaufte den ersten Anhänger 2010 und es war klar, dass der Weg aus Marne herausführt und zwar nach Hamburg. Hier erschlossen sich die Kremers Zug um Zug ihre neue Kundschaft. Los gings auf dem Wochenmarkt in Blankenese mit Sahnetorten und besonders großen Kuchen. Die Nachfrage nach Brot und Brötchen war enorm und so arbeitet sich Harald in die Geheimisse des Bäckerhandwerks ein. Heute hat er jeweils 9 Brot- und Brötchensorten in seinem Sortiment. Er beschickt mit 4 Verkaufsanhängern inzwischen 15 Wochenmärkte von Dienstag bis Sonnabend in Hamburg, beschäftigt 4 Mitarbeiter in der Backstube in Marne und 5 Mitarbeiter im Verkauf. Hinzu kommen noch 3 Minijobber.
An Veranstaltungen, wie der Hamburger Hafengeburtstag, oder bei einigen Stadtteilfesten hat er auch schon teilgenommen, doch die Randbedingungen sind heute unattraktiv geworden, so dass er nur noch an Veranstaltungen in Husum und direkt vor Ort in Marne teilnimmt.
Welche Produkte verkaufen Sie denn?
In erster Linie Torten, da ich Konditormeister bin, aber inzwischen backe ich auch Brot und Brötchen, wobei der Kuchen meinen Hauptumsatz darstellt. Alle Produkte, die ich verkaufe, stelle ich selbst her. Immer wieder entwickle ich auch neue Kreationen wie zum Beispiel meine Schleswig-Holstein-Torte.
Gibt es einen persönlichen Lieblingskuchen?
Ja, den Bienenstich, den ich nach einem uralten Konditoren-Rezept herstelle. Diese Produktion funktioniert in einem Großbetrieb nicht ohne Geschmacksverlust, sagt er selbstbewusst, denn die Mandelkruste muss kross sein, sonst schmeckt es nicht. Bei mir kommen alle Torten und Kuchen täglich frisch aus der Backstube und sind dann wenig später auf dem Wochenmarkt bei unseren Kunden. Auch beim Backen der Brötchen hat er ein Geheimrezept, denn in der Holsteiner Backstube werden sie in einem "uralten" Ofen gebacken, den er mit dem Erwerb des Marner Cafes übernommen hatte. Seine Brötchen werden ohne sogenannte Gärunterbrecher produziert. Das Ergebnis sind Brötchen, die einerseits knusprig sind und andererseits länger aufbewahrt werden können, was die Kunden sehr schätzen, berichtet Harald.
Der etwas andere Online-Shop
Vor zwei Jahren starteten die Kremers zusätzlich mit einem Online-Shop. Nicht um die bestellte Ware zu versenden, sondern um ihren Kunden auf dem Wochenmarkt die Wartezeit und damit den Einkauf zu erleichtern. Es funktioniert so: Im Online-Shop gibt der Kunde seine Kaufwünsche auf, nennt den Wochenmarkt und die Uhrzeit, wann er abholen möchte. Diese Planungssicherheit ist für uns und für den Kunden ideal. Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung, sagt Harald.
Was bedeutet Ihre Arbeit für Sie?
Erfüllung! Ich bin gern Konditor und sehr gern selbständig, meine Frau übrigens ebenso. Wir arbeiten 60-70 Stunden pro Woche, für das ist für mich einfach schön! Wenn ein Kunde, der mich, auf einem neu beschickten Wochenmarkt, entdeckt und sagt: Das wurde aber auch mal Zeit, dass Sie auch hierher kommen mit Ihren Torten und Brötchen, dann macht mich das glücklich und bestätigt mir meine Entscheidung. Solche Erlebnisse gibt es nur auf dem Wochenmarkt.
Mit welchen beruflichen Themen setzen Sie sich zurzeit auseinander?
Wir fühlen uns wohl auf Hamburgs Wochenmärkten, wollen aber nicht nach Hamburg ziehen, da uns das Haus in Marne gehört. Die ehemalige Fläche des Cafes haben wir vermietet und der Backstube entstehen meine Leckereien. Mich beschäftigt das Thema Personalbeschaffung. Es ist sehr schwierig passende Mitarbeiter zu finden und wir haben einen permanenten Draht zum Jobcenter "offene Stellen". Mit der Materialbeschaffung habe ich bislang keine Probleme, da ich ich via Bäko (Bäcker- und Konditoren Einkaufsgenossenschaft) meinen Einkauf organisiere, allerdings ist der Mehlpreis in 1,5 Jahren um 100 % gestiegen, bemerkt er.
Mussten Sie die Preise erhöhen?
Ja, als der Gas- und Strompreis hochschoss und auch da die Materialkosten gestiegen sind. Aber das habe ich nicht 1:1 weitergegeben, es muss auch bezahlbar bleiben für den Kunden, also habe ich nur leicht erhöht.
Sind sie in einem Berufsverband organisiert?
Ja, war ich immer. Bislang im Dehoga (Deutscher Hotel-und Gaststättenverband), dort auch als Vorsitzender für den Bereich Brunsbüttel/Marne und zudem im Konditorenverband. Zeitlich ist es mir zu viel geworden, deshalb meine Austritte. Wichtig wird für mich nun der LAGS Hamburg (Landesverband des Ambulanten Handels und der Schausteller) dem ich beitreten werde.
Was erwarten Sie von ihrem Berufsverband?
Da ich die Verbandsarbeit gut kenne und sehr schätze weiß ich, was ein Verband bewirken kann und möchte es unterstützen.
Auf welchen und wie vielen Wochenmärkten arbeiten Sie?
Zurzeit auf 15 Wochenmärkten in Hamburg.
Haben Sie Freude an ihrem Beruf und würden ihn wieder wählen?
Immer wieder! Ich wollte immer mein eigener Herr sein. Die Selbständigkeit schwebte mir schon als junger Mensch vor. Frühes Aufstehen war für mich nie ein Hindernis. Übrigens der Bäcker fängt nachts um 24 Uhr an zu arbeiten, während der Konditor erst gegen 4 Uhr morgens loslegt.
Würden Sie jungen Menschen zu diesem Beruf raten?
Ja, zum Handwerk – immer wieder!
Wie schätzen Sie die Zukunft der Wochenmärkte in 10 Jahren ein?
Ich rechne mit Schwierigkeiten. Es wird weniger Wochenmärkte geben, da die Anforderungen an Betreiber immer höher werden und die bürokratische Arbeit wird immer umfangreicher. Ich habe dafür extra eine Bürokraft zur Bewältigung der vielfältigen Aufgaben engagiert, denn es ist ein Zeitproblem, allein schafft man es nicht, sagt Harald und führt weiter aus: Mitarbeiter in Behörden können nicht einschätzen was und wieviel Arbeit beim Selbständigen anfallen. Das liegt daran, dass sie keine Praxisnähe haben! Es fallen an: Einkauf dokumentieren, Arbeit der Angestellten in der Backstube dokumentieren, hinzu kommen die Kontrollen: Hygiene-Kontrolle, Berufsgenossenschaft, Gewerbeaufsicht …. Das will kein junger Mensch mitmachen…
Es muss sich etwas ändern, ein Strukturwandel, sollte her! Neue Geschäftsideen und kleinteilige Betriebe müssen gefördert werden! Im Großbetrieb geht die Individualität verloren und deshalb können Ideen nicht umgesetzt werden.
Ich fordere von meinen Mitarbeitern, dass sie selbständig mitarbeiten und sich dabei frei in ihren Entscheidungen fühlen. Ein weiteres Problem ist, dass es für ältere Beschicker ggf. keinen Nachfolger gibt.
Was bedeutet geschäftlicher Erfolg für Sie und hatten Sie einen Förderer/Unterstützer?
Meine einzelnen Berufsstepps haben sich ergeben, so wie eben die Teilnahme an der Grünen Woche, die schließlich der Schlüssel zu meiner heutigen Wochenmarkt-Tätigkeit wurde. Nein, Unterstützer hatte ich nicht, ich habe mir alles selbst erarbeitet.
Wie haben Sie die Corona-Pandemie erlebt?
Es war vorteilhaft für das Geschäft, weil die Wochenmärkte sehr gefragt waren. Und privat ist bei uns niemand erkrankt.
Hat sich ihre Arbeit und ihr Leben nach der Corona-Pandemie verändert?
Ja, wir haben einen positiven Geschäftssprung nach oben gemacht. Anfangs hatte ich mir Sorgen gemacht, ob und wie es für uns laufen würde. Aber das war unnötig, der Verkauf auf dem Wochenmarkt funktionierte und funktioniert super! Er fügt hinzu:
Ich vermute, die Menschen haben in der Pandemiezeit die Wochenmärkte neu entdeckt.
Ganz persönlich… haben Sie noch Zeit für ein Hobby?
Meine Backstube ist mein Hobby! Es gibt eine Sache, die mir irgendwann mal als Rentner vorschwebt. Gut verpackt, zum Teil in Originalkisten liegt meine Modell-Eisenbahn. Immer wieder habe ich im Laufe der Jahre Teile hinzugekauft, hatte aber nie Zeit dafür. Das würde ich dann endlich machen, schwärmt er.
Meine Lieblingsmusik: Bei der Arbeit höre ich gern Schlager nebenbei.
Mein Lieblingsbuch: Ich lese eigentlich nicht gern, nur was nötig ist.
Mit wem würden Sie gern mal über "Gott und die Welt" diskutieren bzw.
wen würden Sie gern treffen?
Ich spreche gern mit Politikern, wie damals mit Robert Habeck, als er Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein war, oder mit dem damaligen Ministerpräsidenten Harry Peter Carstensen. Beide habe ich auf der Grünen Woche kennengelernt. Das gefällt mir und würde ich gern fortsetzen. Falls Schleswig -Holstein mit einem Gemeinschaftsstand wieder an der Grünen Woche teilnimmt, bin ich gern wieder dabei!
Haben Sie einen Wunsch, eine Vision für die Zukunft?
Ja, mein Wunsch ist, dass ich gern Jemanden finden möchte, der später meinen Betreib so weiterführt wie wir es heute machen. Dafür und für Denjenigen würde ich alles tun, damit es gelingt! Meine Vision ist, dass die kleinen Unternehmen eine Zukunft haben. Betriebe wie, die der Wochenmarkt-Beschicker und Handwerksbetriebe sollen weiter bestehen können! Dazu muss man ihnen Wege zeigen, dass es funktionieren und sinnvoll sein kann - sie sollten gefördert werden! Übrigens bezieht sich das aus meiner Sicht nicht auf Franchise-Betriebe.
Zum Schluss sagt er etwas leise:
Manchmal beschleicht mich das Gefühl, ich hätte meinen Kindern doch das Handwerk ans Herz legen sollen, aber meine Frau und ich haben konsequent keinen Einfluss ausgeübt. Vielleicht war es ein Fehler? Unsere Töchter wurden Erzieherin, Bauingenieurin im Küstenschutz (sie arbeitet zurzeit an ihrer Doktorarbeit) und die dritte im Bund studiert Medizin. Selbständigkeit und Handwerk kommen für sie nicht in Frage. Wir sind trotzdem glücklich, unsere Kinder sind gut versorgt zu haben, sagt Harald in Übereinstimmung mit Sabine.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch. Ihrer Holsteiner Backstube wünschen wir weiterhin Erfolg und gute Geschäfte.
Text und Fotos©Barbara Gitschel-Bellwinkel
November 2023