Seit 12 Jahren ist Rainer Raeder (64), Spitzname "Der Hamburger" auf wechselnden Wochenmärkten, Flohmärkten, Stadtfesten und besonders gern auf dem Hamburger Fischmarkt unterwegs. Als gelernter Fotograf und Schauspieler lässt er sich ab und an in seine alten Branchen weglocken, doch sein Herz schlägt für "Hamburg Schätzchen". Die Fotobranche ist schwierig geworden, sinniert er, besser läuft es mit gelegentlichen Filmaufträgen für private Sender. Richtig gut verdienen könne man bei Werbespots, aber ein Gesicht ist schnell verbraucht, wenn es für eine bestimmte Thematik eingesetzt wurde, erklärt er und dann ist es AUS
mit den Aufträgen. Richtig Spaß macht ihm deshalb seine konstante Berufsrolle, der Verkauf sorgfältig ausgewählter Hamburg Andenken. Wie kam der Fotograf und Schauspieler zu liebenswerten Hamburg Mitbringseln und welche Rolle spielt dabei seine Ape, wollte MarktStories wissen. Rainer R. berichtet: Zu meinem 50. Geburtstag beschenkte ich mich selbst mit einem lang gehegten Traum einer Ape, ein einsitziges Piaggio, erzählt er. Einfach so rumfahren, lässig wie es die Italiener machen und vielleicht noch einen Zweck aufsatteln? Kaum, dass ich die Ape gekauft hatte, entdeckte ich ein neu herausgegebenes Magazin "Der Hamburger". Es fiel mir mit meinem fotografischen Blick ins Auge. Und schon war meine Idee geboren. Ich fuhr mit der Ape direkt zum Verlag und bot an, das neue, sehr schön gemachte Magazin aus meinem Wagen heraus zu verkaufen. Kurzum, der Deal wurde perfekt und sofort ging’s los. Die Hamburger zeigten sich begeistert und kauften das Magazin "Der Hamburger" gern, und es ergab sich, dass ich immer häufiger gefragt wurde, ob ich auch noch weitere Hamburg Artikel hätte oder aufnehmen würde. Ja, warum denn nicht, und so wuchs und wuchs mein Sortiment auf rund 50 Artikel an.
Seine Artikel werden in Hamburg gefertigt, kommen aus kleinen Ateliers, oder von privaten Handwerkskünstlern, das ist ihm wichtig, denn nur so kann er sich von der Einheitsware der Souvenir-Shops abheben, die meistens Billigware aus China beziehen und dann teuer verkaufen. Qualität und Nachhaltigkeit muss in seinen Artikeln stecken, sagt er. Rainer R. lebt die Heimat Hamburg auch optisch. Sein Outfit mit Elbsegler inkl. einer maritimen Fliege sind perfekt abgestimmt. Ja, die Fliege ist ganz besonders, nicht aus Stoff, sondern aus Holz mit geschnitzten Seemotiven – auch so eine Rarität. Jedes Detail hat eine Geschichte an seinem Stand, zu der auch immer seine Ape zählt, die geschickt integriert und mitdekoriert wird. Schaut man genau, gibt es viel zu entdecken, wie liebevoll gemachte Magnete, Anhänger, Lesezeichen, gestrickte Babymützen, Seesäcke, Kissen und sogar einen Unikat-Briefkasten u.v.m.
Zu jedem Artikel gibt’s natürlich eine Gratis-Geschichte, ein Döntjes wie man in Hamburg sagt, dazu, die er sehr gern zum Besten gibt. Hier kommt sein schauspielerisches Talent zur Geltung, was besonders auf Themenmärkten wie dem Hamburger Fischmarkt gut ankommt. Touristen lieben alles, was irgendwie mit Hamburg zu tun hat, berichtet er. Die Verkaufstechnik, mit Kunden in einen charmanten Dialog zu kommen, hat sich bewährt. Er bemerkt aber leider eine zunehmende Tendenz etlicher Marktbesucher, Artikel zu befummeln und zu prüfen, um dann zu fragen, wo sie es im Internet bestellen können. Nicht möglich, da es sich ausschließlich um Unikate handelt, ist dann die Antwort und er fügt hinzu, dieser Button hier drückt meine Philosophie aus "offline ist das neue bio", denn die Wirkung des Internets ist negativ und besorgniserregend!
Ob er persönlich auch einen Lieblingsartikel habe?
Ja, es ist ein entzückendes Buch zum Schmunzeln und heißt: "Das Buch MOIN", meine absolute Empfehlung.
Wie haben Sie die Corona-bedingte Zeit erlebt?
Alle Themenmärkte fielen aus, das war natürlich gar nicht schön, und als Wochenmarktbeschicker hatte ich beispielsweise auf dem Isemarkt massive Probleme. In der ersten Zeit durften außerdem nur systemrelevante Artikel verkauft werden. In meinem Fall waren es Kinderbücher. Weitere Artikel meines Sortiments durfte ich nur nach vorheriger telefonischer Bestellung verkaufen. Also heftete ich meine Telefonnummer an einen Seesack, den ich auf die Ape stellte, und so konnte mich der vor mir stehende Kunde anrufen und beispielsweise den Seesack ordern; eine abstruse, aber funktionierende Idee. Doch nun im Frühjahr 2022 können wir endlich wieder aufatmen und kehren langsam zu den Themenmärkten zurück. Ich hoffe, dass sich die Idee des Abendmarkts hier in Hamm und an anderen Plätzen durchsetzt, und wir zu einem etwas anders aufgestellten Wochenmarkt kommen, der für die Kunden zusätzlich auch erlebnisreich und damit lohnenswert für den Besuch ist.
Wie schätzen Sie die Märkte der Zukunft ein?
Ich gehe von einer riesigen Renaissance aus, wenn man neuen Ideen folgt und zum Beispiel eine Öffnung bis 20 Uhr oder auch später umsetzt. Das bedeutet für viele Wochenmarktkollegen, dass sie sich umorientieren und ein Schichtsystem installieren müssten.
Haben Sie einen persönlichen Wunsch?
Ja, ich möchte, dass die Menschen wieder einander zuhören! Im Alltag wird kaum noch zugehört, deshalb gibt es so viel Hass und andere Verrücktheiten.
Haben Sie ein persönliches Ziel?
Noch gute 20 Jahre möchte ich die Märkte beschicken, und wenn ich nicht mehr mit der Ape fahre, komme ich mit dem Handwagen und verkaufe was gebraucht wird. Vielleicht sind es ja 1 m Pflaster???
Vielen Dank für das Gespräch, MarktStories wünscht Ihnen viele hamburgbegeisterte Kunden!
Text und Fotos©Barbara Gitschel-Bellwinkel
Juni 2022